Zur Domestikationsgeschichte des Schafes

Abstammung und Domestikationsmerkmale

Ziege und Schaf, die ersten Nutztierarten, wurden in etwa gleichzeitig domestiziert. Archäologische Funde lassen eine eindeutige Zuordnung des Knochenmaterials oft nicht zu, doch wird man anscheinend der Ziege einen kleinen Vorsprung zugestehen müssen. In vielen späteren Siedlungen wurden auch Ziegen zuerst gehalten, was aus den unterschiedlichen Nahrungsansprüchen der beiden Arten zu verstehen sein soll. Demnach wären Ziegen nützlich bei der Kultivierung von Waldgegenden, um den Bewuchs mit Bäumen und Sträuchern zu unterdrücken, wegen ihrer Vorliebe für Blattfutter. Schafe dagegen benötigten ausgedehnte Weideflächen. Die Tierhaltung folgte also ökologischen Herausforderungen. Es ergibt sich kein zwingender Beweis für eine frühzeitigere Domestikation der Ziege.

Die Domestikation von Schafen begann allem Anschein nach in Westasien.

Im Folgenden werden wir die Mufflongruppe eingehender betrachten müssen. Ursprünglichen Mufflonbestand gibt es heute in Europa und Westasien. Die Verbreitung des europäischen Mufflon ist auf die Inseln Korsika und Sardinien beschränkt. Alle anderen Vorkommen gehen auf Einbürgerungen zurück, wobei unter solchen Beständen Tendenzen zur Bildung selbständiger kontinentaler Lokalformen beobachtet wurden (O. musimon sinesella TURCEK).

Umstritten ist, ob es sich bei den Inselvorkommen um Rest- bzw. Rückzugspopulationen handelt, oder ob davon auszugehen ist, dass die Tiere von frühen Siedlern dorthin verbracht worden sind und dann bereits im Vorfeld der Domestikation wieder in den Wildzustand zurückfielen. Manches Indiz stützt letztere Annahme.

In der älteren Literatur wird der Mufflongruppe wenig Bedeutung für die Entstehung domestizierter Schafrassen zuerkannt. Dennoch wird ihr und den ihr ähnelnden domestizierten Schafrassen unverhältnismäßig viel Erwähnung zuteil.

Die Abstammung der domestizierten Rassen führte man überwiegend auf den Urial (Ovis vignei BLYTH) zurück, der teilweise als selbständige Art aufgefasst, mitunter als Unterart von Ovis orientalis GMELIN verstanden wurde. Im letztgenannten Fall droht erhebliche Verwirrung indem der Urial der Mufflongruppe zugesellt wird.

Eine wichtige Rolle in der Ahnenreihe der domestizierten Schafe wird häufig der Form Ovis arcal EVERSMANN aus dem Gebiet zwischen Kaspischem Meer und Aralsee zugeschrieben. Ovis arcal, das zur vignei-Gruppe zählt, gehört zu den größten Schafen Vorderasiens und stellt geografisch wie auch aufgrund morphologischer Merkmale eine Übergangsform der vorderasiatischen zu den zentralasiatischen Wildschafen dar.

Ovis arcal wurde auch zeitweise als Unterart von O. orientalis aufgefasst (Gromova 1936), aber schon Kesper (1953) sieht - unter anderem wegen der Größengleichheit der Hirnschädelbreiten - eine nahe Verwandtschaft zu O. vignei.

Ungeachtet etlicher nordwesteuropäischer Rassen von unübersehbarem Muffloncharakter neigte man in der Vergangenheit dazu, Urialabstammung aller europäischen Hausschafrassen zu behaupten. Eine Neubewertung der Gruppen von Spezies und Subspezies der Wildschafe führt mittlerweile aber auch zur Neubenennung des Vorfahren der domestizierten Schafrassen.

Wir dürfen danach nicht mehr von Urialabstammung ausgehen, sondern müssen Orientalis-Abstammung zugrunde legen, also Herkunft aus dem Rassenkreis der orientalischen Mufflon.

Ist Ovis orientalis auch tatsächlich der Vorfahr der domestizierten Schafe, bleibt die Zuordnung dort falsch, wo in der älteren Literatur Ovis vignei als Orientalis-Unterart aufgefasst wurde.

Der Arkal vom Ust-Urt-Plateau, dessen Lebensraum nicht das Gebirge, sondern die Steppe ist, gäbe einen günstigen Vorfahren von Hausschafen. Verabschieden wir uns dennoch auch von dieser bequemen Möglichkeit, gehört doch Ovis arcal zur Vignei-Gruppe, die aufgrund von Chromosomenuntersuchungen als Vorfahr ausgeschlossen wurde ?

Ovis vignei ist als ursprünglichste Form der rezenten Wildschafe anzusprechen, was mit der Vorstellung übereinkommt, dass sich die Wildschafe aus dessen Lebensraum heraus ausgebreitet haben.

Andererseits gibt es Stimmen, die die festgestellten Unterschiede der Chromosomensätze für eine durchaus normale Abweichung halten, die keine treffenden Schlüsse über Abstammungsfragen zulasse. Zudem könnten durch Kreuzung Veränderungen dieser Art herbeigeführt worden sein, die sich bei der in alter Zeit gegebenen relativ geringen Individuenzahl schnell gefestigt haben könnten.

Da geringere Chromosomenzahl auf höhere Entwicklungsstufe hinweist, könnte man die gegenüber vielen Formen der Wildschafe reduzierten Chromosomensätze der domestizierten Schafe sogar als Entwicklungsstandsmerkmale und damit als Domestikationsfolge betrachten. Dagegen allerdings spricht, dass bisher keine domestizierte Tierart genetisch von ihrer Wildform verschieden ist.

An dieser Stelle sei schon einmal kurz vermerkt, dass die Soayschafe den zu erwartenden Chromosomensatz von 2n=54 aufweisen.

Das Verbreitungsgebiet des Urial überschneidet sich mit wichtigen frühneolithischen Siedlungsgebieten, wo er als Jagdwild nachgewiesen werden konnte. Dennoch wurde eben nicht diese Art zur Stammform domestizierter Schafe wenngleich nicht ausgeschlossen werden darf, dass auch diese Form stellenweise eingekreuzt worden sein mag oder gar die ursprünglich erstdomestizierte ist, die dann aber in den erfolgreicheren Mufflonbeständen aufging.

Geradezu zwangsläufig ist viel Spekulatives in die umfangreiche Literatur zu diesem Thema eingeflossen.

In frühen Überlegungen fehlte noch die rechte Vorstellung von der Variationsbreite der Arten wie vom Umfang der Modifikationsmöglichkeiten durch züchterischen Eingriff.

Zwischen den verschiedenen Rassen domestizierter Schafe finden sich nun derart große Unterschiedlichkeiten oft nicht eindeutig erklärbarer Merkmale (Schwanzlänge, Fetteinlagerungen, Färbung, Farbe der Beine u.a.), dass hierin der Grund für solch frühe Fehleinschätzungen, wie man sie beispielsweise bei Fitzinger findet, leicht erkennbar ist.

Er ging von einer größeren Anzahl von Vorfahren aus, deren meiste seinerzeit als Wildformen nicht mehr auffindbar gewesen seien. Ist dieser Gedanke auch nicht grundsätzlich abwegig, so trifft er doch zumindest für die meisten Haustierarten nicht zu. Und so ist er auch im Falle der Schafe erledigt und verworfen. Die letzte, wenngleich nicht allgemein akzeptierte Auffassung ist (ohne die zuvor erwähnten Möglichkeiten von Arkal- oder Urialanteilen durch Einkreuzung auszuschließen): Alle Hausschafe stammen vom orientalischen Mufflon (Ovis orientalis et Ssp.) ab, wenige zeigen Argali- (Ovis ammon)-Beimischungen.

Was unterscheidet domestizierte von wilden Schafen ?

Das vielfach für typisch angesehene dicke Wollvließ fehlt zum Beispiel manchen außereuropäischen Rassen, die nur ein einfaches Haarkleid mit kurzer Unterwolle aufweisen. Ähnliche Typen finden wir auch bei den Soayschafen. Andererseits weisen Wildschafe im Winter gewöhnlich eine dichte Bewollung auf, die das Haarkleid überdeckt. Die Selektion langwolliger Individuen und deren Fortzüchtung zu Wollschafen dürfte nicht allzu schwierig gewesen sein, zumal die sehr kalten Winter in Westasien, dem Ursprungsgebiet der Schafzucht, zusätzlich begünstigend gewirkt haben mögen. Haare sind dabei nie ganz verschwunden. Primitivrassen wie die Soayschafe weisen lange Nackenhaare auf sowie Tiere mit ausgeprägter Haardominanz gegenüber der Wolle. Manche tropischen Rassen haben ein glattes Haarkleid.

Auffallend ist, dass haarbetonte Rassen dem Mufflon besonders nahe zu stehen scheinen während die meisten Wollschafrassen den Eindruck erwecken, einem anderen Ursprungstypus zuzugehören, als dessen Vorfahr eben meist der Urial angenommen wurde.

Vermehrtes Wollwachstum ist einmal klimaabhängig, zum anderen Teil Sache des gewünschten Nutzens. Die Verlängerung des Schwanzes dagegen ist ein bemerkenswertes Merkmal domestizierter Rassen. Die Variationsbreite des Schwanzes ist einmalig unter den domestizierten Tierarten und insofern erstaunlich, als bei Wildschafen keinerlei Variation vorkommt. Das Merkmal verlängerter Schwanz wurde vielfach durch Kreuzung auch in ursprünglich kurzschwänzige Populationen eingebracht. Dass sich dieses Merkmal umgehend und sicher durchsetzt, konnte in Kreuzungsversuchen mit Soay-Schafen und Tieren langschwänziger Rassen gezeigt werden.

Häufig ist eine erhebliche Fettansammlung im Schwanz oder um den Schwanzansatz herum entwickelt. Zwei Typen von Fettschwanzschafen sind seit dem Altertum bekannt. Dem Typus mit gleichmäßig fettem, langen Schwanz steht ein anderer mit nur mittlerer Schwanzlänge zur Seite, der beidseitig große Fettdepots in den Basalflächen aufweist, das sogenannte Breit-Fettschwanzschaf, das abgewandelt als asiatisches Fettsteißschaf auftritt, dessen Schwanzknochen sehr verkürzt sind, wodurch die Fetteinlagerung in die Gesäßregion verschoben ist. Derartige Zuchtformen sind schon seit frühester Zeit belegt (Ur, 2400 v. u. Z.).

Während Wildschafe kleine, steife Ohren haben, wie man sie auch noch bei Primitivrassen wie z.B. den Soay-Schafen findet, haben entwickeltere domestizierte Schafrassen nicht nur durchweg auffallend größere Ohren, sondern recht häufig sogar - wie es auch bei anderen Nutztierarten als Domestikationsfolge vorkommt - Hängeohren. Dieses eindeutige Domestikationszeichen findet sich auch bereits in früher Zeit, zum Beispiel bei altägyptischen Rassen, obgleich deren Ohren kleiner waren als jene moderner Rassen. Häufig geht mit der Ausprägung von Hängeohren eine stark geramste Nase einher, die wohl Folge einer bei nahezu allen domestizierten Arten auftretenden Gesichtsverkürzung ist. Wenn auch Muffelwidder bisweilen Ramsnasen aufweisen, könnten dazu Hausschafeinkreuzungen beigetragen haben.

Gern wurden auch die Hornformen der Wildschafe zu wissenschaftlichen Untersuchungen herangezogen, doch schon die bekanntesten Typen weisen genügend Variationsbreite auf, um eine große Zahl möglicher Abwandlungen unter züchterischem Einfluss erahnen zu lassen.

Die Hörner domestizierter Rasen sind gegenüber denen von Wildformen meist erheblich kleiner oder fehlen selbst bei Widdern ganz. Einige wenige moderne Rassen weisen noch ansehnliche Widdergehörne auf, die dann häufig im Unterschied zu den Hörnern von Wildschafen mehr als eine Windung aufweisen. Dabei ist ein seitliches Absinken der Hörner als Domestikationsfolge zu verstehen. Dies beruht möglicherweise auf einer Erweichung der Hornbasis, die dann auch dafür verantwortlich ist, dass Hörner domestizierter Schafe oft nur die innere Frontalkante deutlich ausbilden, so dass ein annähernd linsenförmiger Querschnitt entsteht, der dem von Ziegenhörnern ähnelt. Hierfür wurde der Begriff „Ziegenhörnigkeit" geprägt, der aber insofern mit Vorsicht zu genießen ist, als er verschiedentlich auch zur Benennung anderer Sachverhalte herangezogen wird.

Neben domestizierten Rassen, die die Hornform der wilden Vorfahren im wesentlichen beibehielten, entwickelten sich durch Steigerung des auswärts gerichteten Wachstums Schraubenhorntypen.

Das Extrem solch geschraubter Hornform zeigt das Zackelschaf mit seinen geraden, korkenzieherartig gedrehten und vom Körper abstehenden Hörnern. Diese Wuchsform entsteht aufgrund eines äußerst schnellen Auswärtswachstums, welches das Rundungswachstum überlagert.

Solche Tiere finden sich schon in der Frühzeit der Schafzucht in Mesopotamien, von wo sie mit Ausbreitung der neolithischen Kultur über die Balkanhalbinsel Europa erreichten.

Auch überzählige Hörner kommen vor. Man findet sie häufiger unter den Kurzschwanzschafen Nordwesteuropas (z.B. Laoghtans von der Isle of Man). Nach Ewart erscheinen sie erstmals in der Bronzezeit, sicher aber in der Eisenzeit (Jarlshof - Shetlands). Weitere Hörner sind möglich, bis zu sieben wurden beobachtet. Diese irregulären Hörner sind pathologisch.

Weil Mufflonhörner schwärzlich, Urial- und Argalihörner dagegen blass sind, hielt man vielfach nur schwarzgehörnte Rassen für mufflonstämmig, der große Rest aber sollte von Urial oder Argali abstammen.

Weitere auffallende Merkmale bei der Betrachtung von Domestikationserscheinungen sind Farbe und Struktur des Fells. Domestikation bewirkte bereits frühzeitig eine Vereinfachung der Farbmuster, wobei bestimmte Pigmentanteile der Wildfarbe ausfielen. Dies bewirkte im äußersten Fall Einfarbigkeit, häufig blieb jedoch die Zeichnung von Gesicht und Beinen erhalten. Solche, von der Wildfärbung hergeleitete Zeichnung, ist bei den primitiveren Rassen verbreitet, wobei es bis heute Rassen gibt, deren Farbmuster und Zeichnung der von Mufflon sehr nahe stehen. Dies sind die Soayschafe und einige afrikanische Rassen aus Gebieten südlich der Sahara.

Daneben gibt es die Scheckung als domestikationscharakteristische Färbung, die als zweiter Weg zur Ausprägung einfarbiger Formen führen kann.

Spezielle Merkmale der Urialzeichnung sind in domestizierten Rassen unbekannt.

Das Vorherrschen weißer Wolle bei Hausschafen lässt sich auch aus den Verhältnissen am Fell der Wildschafe erklären. Letztere weisen weiße oder zumindest weißliche Unterwolle auf, die zum Winter hin an Länge zunimmt. Domestizierte Rassen sind nun auf übermäßiges Wachstum der Wolle bei zurückgedrängtem Haaranteil selektiert, so dass die Wolle farbbestimmend wird. Andererseits weist die Wolle von Wildformen häufig dunkle Spitzen auf, die auf einen Pigmentierungsfaktor zurückgehen, der für die Ausprägung dunkler Wolle bei domestizierten Schafen verantwortlich zeichnen dürfte.

Einheitlich dunkle bis schwarze Beine allerdings erscheinen nirgends bei Wildschafen.

Schon frühzeitig wurde durch gezielte Zucht die Wildzeichnung verdrängt. Bei der dann folgenden Selektion bestimmter Farben oder Farbmuster mögen Vorstellungen über Eigenschaften, die diesen jeweils bevorzugten Mustern innewohnen möchten, eine ebenso bestimmende Rolle gespielt haben wie jeweils aktuelle Moden. Den Einfluss des Faktors Mode können wir bis in unsere Zeit hinein beobachten, zum Beispiel an der zeitweiligen Bevorzugung oder Ablehnung braunwolliger Schafe.

Gleich anderen Nutztierarten wurden auch die Schafe unter dem Einfluss der Domestikation zunächst kleiner als es ihre wilden Vorfahren gewesen waren. Körpergröße ist aber äußerst variabel und erlaubt keinerlei Rückschlüsse auf die Abstammung. Die kleinsten Rassen, die Shetlandschafe und die etwa gleichgroßen Kamerunschafe erreichen nur eine Schulterhöhe von etwa 45cm, was sie für eine Haltung auf engstem Raum geeignet macht. Wegen der Summe günstiger Eigenschaften haben sich überwiegend Schafrassen mittlerer Größe durchgesetzt. Auffallend sind noch besonders hochbeinige Typen, deren Wuchsform der Notwendigkeit dauernden Ortswechsels bei der Nahrungssuche in ariden Landschaften angepasst ist.

Eine Art jagdlicher Bewirtschaftung von Wildbeständen mag die Domestikation von Schafen begründet haben. Tatsächlich erfolgte die früheste Domestikation von Tieren noch vor Begründung agrarischer Wirtschaftsformen. Neben der Nutzung von Fleisch und Haut, möglicherweise auch schon von Milch, wird sicherlich bald die Möglichkeit der Wollnutzung erkannt worden sein.

Wildschafe und diesen nahestehende Rassen wie die Soayschafe werfen alljährlich ihre Wolle ab, die zu diesem Zeitpunkt zumeist einen Zustand natürlicher Verfilzung aufweist. Die Beobachtung dieser Erscheinung könnte die noch heute in Zentralasien verbreitete Filzproduktion angeregt haben.

Wann genau die Domestikation von Schafen begonnen hat, lässt sich nicht mit letzter Sicherheit sagen. Früheste Zeugnisse dafür aber finden sich an Siedlungsstellen des späten Mesolithikums, etwa um 6000 v.u.Z., im Nordiran. Der Anteil von Schafsknochen unter den Funden nimmt entsprechend dem Zeitverlauf zu. In der vor-töpferischen Periode des Neolithikums machen sie mehr als ein Drittel der Gesamtfunde aus. Mit dem Übergang zur Töpferperiode ändern sich auch die Bewirtschaftungsgewohnheiten für die Tierbestände. Der Anteil zu Nahrungszwecken geschlachteter Jungtiere steigt deutlich an. Alttiere wurden also gezielt zur Zucht, möglicherweise sogar zur Milchgewinnung, zurückgehalten. Schon zwischen 4000 und 3500 v.u.Z. erscheinen an verschiedenen Orten mehrere unterschiedliche domestizierte Rassen. Was diesbezüglich mesopotamische Inschriften durch eine Vielzahl von Varianten des Schriftsymbols für „Schaf" erahnen lassen, wird durch archäologische Funde bestätigt.

Um 3000 v.u.Z. findet sich in Mesopotamien wie in Ägypten ein Haarschaf mit typischem Zackelschafgehörn. Daneben gibt es Wollschafe und auch das Fettschwanzschaf erscheint um diese Zeit.

Um 2000 v.u.Z. kannte man in Mesopotamien mindestens fünf Hauptrassen, alle mit ausgeprägten Domestikationsmerkmalen wie der Tendenz zu hornlosen Weibchen, Hängeohren und Langschwänzigkeit.

Über Ägypten erreichten die frühen domestizierten Schafrassen Afrika. Bis heute zeigen etliche Rassen Afrikas ausgesprochene Nähe zu den Mufflon. Neben den Kurzschwanzschafen Nordwesteuropas beweisen die afrikanischen Schafe, dass Mufflon domestiziert wurden. Andererseits tragen sie bei zum Eindruck einer „Zweilinigkeit" im Erscheinungsbild domestizierter Schafrassen, deren Auffälligkeit die Annahme unterschiedlicher Vorfahren heraufbeschwören musste.

Zeuner erwähnt ein abessinisches Kurzschwanz-Hängeohr-Mähnenschaf, das braun ist und einen Sattelfleck aufweist, womit es zum eigentlichen Mufflontyp gehören müsste, doch sind seine Hörner vom Schraubentyp der altägyptischen Rasse. Lydekker vermutet darin eine Hybridrasse, doch glaube ich darin eher eine Übergangsform zu erkennen, die uns zeigt, dass auch Rassen mit dieser Hornform durchaus mufflonstämmig sind. Auch das oben erwähnte mesopotamische Haarschaf mit Zackelgehörn weist in diese Richtung. Eigene Beobachtungen an einem Kreuzungstier aus Soayschaf und einer anderen (hornlosen) Rasse bestärken mich in dieser Annahme.

Ob nun die Mufflonabkömmlinge vom asiatischen oder vom europäischen Mufflon abstammen, scheint schwer zu entscheiden, doch spricht für asiatische Abstammung außer der größeren Wahrscheinlichkeit wegen des archäologischen Nachweises frühester Domestikationszentren in Westasien, dass wahrscheinlich ist, dass auch das europäische Mufflon hier nicht ursprünglich beheimatet ist. Außerdem sind die afrikanischen Schafe sicherlich von Asien her eingeführt worden.

Das wohl bekannteste Schaf der europäischen Frühzeit ist das sogenannte Torfschaf (Ovis aries palustris RÜTIMEIER 1861) der neolithischen Pfahlbausiedlungen in der Schweiz, dessen rezente Nachfahren man vor allem im Bündner-Oberländer-Schaf, aber auch dem Steinschaf und ähnlichen alpenländischen Schafrassen zu finden glaubt. Dieses Schaf und jene, als seine Nachfolger betrachteten Rassen, zeigen eine Verbindung zu den Zackelschafen und repräsentieren damit den südlichen, für urialstämmig gehaltenen Entwicklungstypus. Schon Rütimeier (1861) vertrat die Ansicht, das Torfschaf sei ein Urialabkömmling, doch seine Hauptargumente blieben schwach. Behornte Weibchen zum Beispiel kommen auch ohne Fremdeinfluss in mufflonstämmigen Beständen vor, und die Langschwänzigkeit des Torfschafes war mangels Beweismaterials reine Spekulation.

Weil aus einer Wildform mit hornlosen Weibchen keine behornten Weibchen in der Domestikationsform resultieren können, meinte man daraus herleiten zu können, dass die neolithischen Schafe der Schweiz mit ihren behornten Auen keine Mufflonabkömmlinge gewesen sein könnten, denn die frühen Autoren glaubten durchweg, Mufflonweibchen seien ausnahmslos unbehornt.

Den gleichen Fehler machte Cossar Ewart bei seiner Einschätzung des Rassenzustandes der Soayschafe.

Weibliche Tiere des europäischen Mufflon sind häufig ebenfalls behornt. Die Annahme der Langschwänzigkeit des Torfschafes gründet allein auf Beobachtungen an modernen Rassen, von denen nahe Verwandtschaft zum Torfschaf geglaubt wird. Dennoch schienen einige Skelettdetails wie Widderhörner oder die Größe weiblicher Gehörne, die die größten Exemplare bei Mufflon übertreffen, Urialabstammung zu bestätigen.

Wenn aber der Urial (Ovis vignei) allenfalls ein unbedeutend mitwirkendes Glied in der Vorfahrenreihe domestizierter Schafe ist, dann muss die auffallende Zweilinigkeit im Erscheinungsbild der domestizierten Schafrassen, die man für Europa grob in eine nördliche (Kurzschwanzschafe mit deutlichen Mufflonmerkmalen) und eine südliche Linie (entwickeltere, langschwänzige Rassen, wie sie heute allgemein verbreitet sind) teilen kann, eine andere Ursache haben als die Abstammung von zwei unterschiedlichen wilden Ausgangsformen.

Das Torfschaf war klein mit schwachen, zierlichen Beinen und kleinen, aufrechten, ziegenartigen Hörnern. Letzterer Umstand wurde im Zusammenhang mit dem Torfschaf unangemessen betont. Derartige „Ziegenhörnigkeit" (flacher, linsenförmiger Querschnitt mit nur zwei anstelle von drei scharfen Kanten) ist ein Merkmal weiblicher Hörner oder solcher von Kümmerformen sowie eventuell bei Mischerbigkeit von behornt und unbehornt (lt. Adametz).

Die Widderhörner des Torfschafes bildeten eine lose Spirale, ähnlich wie bei den Haarschafen Altägyptens, zeigten also nicht die extreme Hornform echter Zackelschafe.

Gelegentlich finden sich auch hornlose Schafschädel aus dem schweizer Neolithikum. Deren Anteil nimmt mit dem Zeitverlauf zu. Torfschafauen scheinen also infolge des Domestikationsfortschritts ihre Hörner verloren zu haben. Behornte wie hornlose Varianten des Torfschafes wurden bis in römische Zeit gehalten. Die Römer importierten dann ein schwereres Schaf mit längeren Hörnern.

Über das Mittelalter hinaus bis in die frühe Neuzeit blieb das Verteilungsmuster der Schafrassen Nord- und Nordwesteuropas von überschaubarer Einfachheit, geprägt von ökologisch gut angepassten Robustformen.

Nordwesteuropa blieb Verbreitungsgebiet eines anderen Primitivschaftyps. Wenn dem Mufflon und seinen wenigen offensichtlichen Nachfahren in der Literatur, gemessen daran, dass er nicht als wesentlicher Vorfahr domestizierter Schafe galt, ein Übermaß an Beachtung zuteil wurde, so mag darin eine Ahnung von Fehleinschätzung mitgeschwungen haben. Mufflonoide Kurzschwanzschafe sind ursprünglich über ganz Nord-, Nordwesteuropa und Teile Westeuropas verbreitet, hatten also ein Verbreitungsgebiet von Nordrussland über Skandinavien, Großbritannien, Nordwestdeutschland, Westfrankreich bis nach Spanien.

Die meisten dieser Rasen sind bis spätestens zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch entwickeltere Rassen verdrängt worden und erloschen.

Auf den Britischen Inseln gab es Rassen mit sicheren Mufflonmerkmalen auf den Shetlands, den Hebriden, der Isle of Man (Laoghtans), den Orkneys und dem St.-Kilda-Archipel (Soayschafe).

Die Mufflontypschafe der Orkneys, die noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts existierten, waren nicht identisch mit dem noch heute vorhandenen Bestand von North-Ronaldsay, welchem heute die Bezeichnung Orkney-Schafe eignet. Letztere sind eine interessante, altertümliche Rasse von ursprünglich erheblich weiterer Verbreitung. Diese Schafe leben auf dem Küstenstreifen der Insel und ernähren sich überwiegend von Seegras. Dieser Tatsache ist zuzuschreiben, dass die Tiere im Winter, wenn Seegras in erheblichen Mengen verfügbar ist, besser genährt sind als im Sommer. Der Selektionsdruck durch den Menschen ist für diese Rasse minimal. Die Tiere sind klein, kurzschwänzig, spätreif und in Anpassung an ihre Umwelt außerordentlich robust. Hinsichtlich des Vorhandenseins und der Form der Hörner bestehen Unterschiede, doch tendieren die Widder zu Behornung, die weiblichen Tiere zu Hornlosigkeit. Es sind diverse Farben verbreitet wobei Grau überwiegt. Die graue Wolle entsteht durch Mischung weißer Wolle mit schwarzen Haaren. Es besteht eine Tendenz zu selbständigem Wollabwurf bei dieser Rasse.

Auch auf den Färöern hielten sich Schafe des Mufflontyps sehr lange. Alle diese Schafe sind durchweg klein, haben ein mischwolliges Vließ mit erheblichem Haaranteil, kleine, aufrechtstehende Ohren, einen Schwanz mit 12 bis 13 Wirbeln wie bei Mufflon, und bei Widdern tritt bisweilen Mähnenbildung auf. Die Widder tragen meist gut ausgeformte Gehörne mit leichter Auswärtswindung, die Auen sind hornlos oder tragen kleine, ziegenartige Hörner. Hörner und Hufe sind durchweg schwarz, zumindest dunkel wie auch bei den Mufflon. Die Fellfarbe variiert erheblich, doch überwiegt wohl Braun. Manche Rassen zeigen Primitivfärbung.

Die ursprünglichste Erscheinungsform dieser Gruppe sind die Soayschafe, die in ihrer ganzen Erscheinung die Nähe zu den Mufflon augenfällig machen. Selbst der weißliche Sattelfleck soll bisweilen vorkommen.

Dass also die nordischen Kurzschwanzschafe Mufflonabkömmlinge sind, ist unbestreitbar. Nach den archäologischen Befunden scheint diese Gruppe - ungeachtet aller bis heute offener Fragen - primitiver zu sein, als die des Torfschafs.

Woher nun kommen sie, wer hat uns diesen Schafstypus gebracht und wieso gibt es die beiden unterschiedlichen Entwicklungslinien? Die Tiere der schweizer Pfahlbausiedlungen dürften über die neolithische Kultur des Donauraumes dorthin gelangt sein.

Eine eigenständige Entwicklung, basierend auf Nachahmung, kommt für Nordwesteuropa insofern nicht in Frage, als dort zu jener Zeit Wildschafe nicht verfügbar waren - es handelt sich ausschließlich um Importe.

Zeuner diskutiert die Möglichkeit, dass westliche neolithische Einwanderer, die Lederbootleute, Mufflontypschafe mitgebracht haben könnten, zumal ihre Wanderung Mufflongebiet berührt haben mochte. Dies würde aber nicht ihre Verbreitung in Skandinavien und Nordrussland erklären. Mit der Cortalloid-Kultur sollten sie andererseits auch die schweizer Pfahlbausiedlungen erreicht haben, wo man Spuren solcher Schafe, die man dort als Kupferschaf (Ovis aries studeri DUERST) bezeichnete, tatsächlich fand.

Wahrscheinlicher noch erscheint aber eine spätere Einwandererwelle als Träger der Domestikation dieser Tiere. Es wären demnach die Megalithiker, die sie zunächst nach Westeuropa brachten, von wo aus sie sich dann verbreiteten, stimmt doch ihr Verbreitungsgebiet auffallend mit dem Kulturraum der Megalithiker überein, wobei es später zu einer, von den gleichen Wanderwegen ausgehenden, Verdrängung gekommen sein mag, die zu der später augenfälligen Häufung des besprochenen Schaftyps im Norden und Nordosten geführt hat. Noch in neuerer Zeit waren solche Mechanismen wirksam, die dazu führten, dass die Primitivrassen in abgelegenere, weniger gut nutzbare Gebiete abgedrängt wurden, wo sie sich wegen ihrer Robustheit und der guten Anpassung an die Bedingungen von Heideland und lichter Kiefernwälder erhalten und sogar noch ausbreiten konnten.

Mufflontypschafe könnten also tatsächlich mit der Megalithkultur nach Europa gekommen sein.

Bei all diesen Erörterungen sind aber Wunsch und Wirklichkeit schwer zu unterscheiden und es wird weiterer Überprüfung des bekannten Materials und möglicherweise weiterer Nachweise bedürfen, mehr Klarheit zu gewinnen, denn schon das vorhandene Fundmaterial verweist auf einen komplexeren Sachverhalt als die oben dargestellten Überlegungen ahnen lassen.

Funde von Mufflonschafen im Mittelmeerraum verwundern insofern wenig, als auch die wilden Mufflon von Korsika und Sardinien wohl als Nachfahren von in der Frühzeit zu Domestikationszwecken dorthin verbrachten Tieren anzusehen sind.

In Westeuropa gibt es jedoch Fundplätze, die auf eine wesentlich frühere Kenntnis der Schafzucht schließen lassen, als die oben diskutierte. Es handelt sich um mesolithische Wohnplätze. Damit wären derartige Kenntnisse dort vorhanden gewesen, ehe Vertreter der neolithischen Kultur vom Mittelmeerraum her einwanderten.

Zwar gibt es Unsicherheiten hinsichtlich der Zuordnung des Knochenmaterials zu Schafen oder Ziegen, doch finden sich Merkmalsübereinstimmungen mit Schafen von der Größe des Soay-Typus.

Seit ihrem Erscheinen im nordwestlichen Europa waren die Mufflontypschafe dem Verdrängungsdruck durch die Importe nachfolgender Einwanderungswellen ausgesetzt, der sie auf abgelegene Gebiete, meist Insellagen oder Zonen kargen Nahrungsangebots und schroffer klimatischer Verhältnisse, die entwickelteren Rassen nicht zuträglich waren, verschob, wo sie sich dann auf längere Zeit, in wenigen Fällen bis auf den heutigen Tag, erhalten haben.